Kulinarische Schätze im Südwesten
von Mareike Kratt
Auf den Feldern und Wiesen im Süden reifen ganzjährig besondere Köstlichkeiten heran. Bei manchen von ihnen handelt es sich um erlesene Raritäten, andere bestimmten über Jahrhunderte den hiesigen
Speiseplan, bevor sie in Vergessenheit gerieten. Wieder andere gingen verloren und wurden erst per Zufall erneut aufgefunden. Unsere Übersicht präsentiert die wichtigsten kulinarischen Schätze im
Genießerland.
Tolle Knolle – Höri Bülle
Schon im 8. Jahrhundert war die Bodensee-Halbinsel Höri für den Zwiebelanbau bekannt. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich die Zwiebel sogar zum Hauptanbaugemüse der Region und brachte ihr
die Namen »Zwiebelhöri« und »Bülleland« ein. Seit 2014 ist die »Höri Bülle« mit der Herkunftsbezeichnung »geschützte geografische Angabe« eingetragen und darf nur so heißen, wenn sie von der Höri
stammt. Von anderen roten Zwiebelsorten unterscheidet sich die alte Landsorte durch ihre flache und bauchige Form, den milden Geschmack und eine weiche Konsistenz. Beste Voraussetzungen, um sie
vielfältig in der Küche einzusetzen – nicht nur beim jährlich am ersten Sonntag im Oktober stattfindenden Bülle-Fest.
Russischer Reimport – Alblinse
Einst war sie auf der Schwäbischen Alb weit verbreitet, verschwand dann zeitweilig von den Feldern und wurde inzwischen als Delikatesse wiederentdeckt. Dass sich die alte Sorte der Alblinse heute
wieder genießen lässt, ist einem Zufallsfund in einem Archiv in St. Petersburg zu verdanken, wo die schwäbischen Linsen eingelagert waren. Aus ein paar Linsen konnte über mehrere Jahre hinweg
Saatgut gezogen werden, das heute wieder in größerem Umfang auf der Alb angebaut wird. Einer guten Portion Linsen mit Spätzle – dem schwäbische Nationalgericht – steht damit nichts mehr im
Weg.
Saftige Aromabombe – Geißhirtle
Die alte schwäbische Birnensorte »Geißhirtle« verdankt ihren Namen den Ziegenhirten, die sie um 1800 per Zufall bei Stuttgart entdeckt haben sollen. Der Fund stellte sich schnell als Glücksfall
heraus, denn die kleine Sommerbirne ist mit der typischen Tropfenform und der feinen Schale in goldgelber bis rotvioletter Färbung nicht nur ein Augenschmaus, sondern verführt mit ihrem
süßlich-zimtigen Geschmack auch den Gaumen. Besonders gut eignet sich das Geißhirtle zum Einmachen, aber auch in Form von Edelbrand, Dörrobst, Saft oder direkt vom Baum ist es ein Genuss. Zum
Leidwesen vieler Liebhaber ist dieser allerdings auf vier Wochen im Jahr begrenzt. Echte Kenner lassen deshalb auch nichts verkommen und verputzen die Frucht gleich samt
Kerngehäuse.
Universelles Superfood – Fränkischer Grünkern
Eine Spezialität, die nicht nur im Odenwald inzwischen wieder ganz oben auf der Speisekarte steht, ist der seit 2015 europaweit in seiner Herkunft geschützte Fränkische Grünkern. Um einer
unwetterbedingt drohenden Hungersnot vorzubeugen, ernteten die Bauern der Gegend im 19. Jahrhundert unreifen Dinkel und trockneten ihn über dem Feuer. Heute erlebt das Korn als nahrhaftes
»Superfood« vor allem in der veganen Küche eine Renaissance. Denn ganz gleich ob als Suppeneinlage, Bratwurst oder Praline – der Grünkern überrascht durch seine Vielseitigkeit. Im Bauland, im
Norden Baden-Württembergs, lässt sich der Weg des grünen Korns von der Ernte über das Darren bis in den Kochtopf und schließlich auf den eigenen Teller verfolgen.
Verruchtes Wunderkraut – Hanf
Der Allrounder Hanf zählt zu den ältesten Nutzpflanzen der Welt. Er ist pflegeleicht, umweltfreundlich, äußerst schädlingsresistent und vielseitig einsetzbar. Zur Produktpalette zählen neben
Lebensmitteln wie Hanföl, Müsli und Nudeln auch Textilien, Dämmstoffe und Tierfutter. Doch dem besonderen Kraut haftet ein schlechter Ruf an: Zwar weist der Nutzhanf im Gegensatz zu den als
Rauschmittel und Medizin eingesetzten Sorten einen sehr geringen THC-Wert auf. Er darf aber dennoch erst seit 1996 und nur unter Einhaltung strengster Auflagen wieder legal angebaut werden.
Inzwischen ist der multifunktionale Rohstoff auch auf die Äcker im Süden zurückgekehrt, etwa in Oberschwaben oder dem Ostalbkreis, wo er bereits früher heimisch war.
Geistreiches Früchtchen – Zibärtle
Unter Genießern für ihr an Mandeln und Marzipan erinnerndes Aroma geschätzt, feiert die nach 1945 nahezu ausgerottete Zibarte (alemannisch »Zibärtle«) seit den 80er Jahren ein Revival. Besonders
im Schwarzwald, zwischen Ortenau und Freiburg, werden aus der wilden Bergpflaumenart edle Brände destilliert. Nach dem Maischen der kugeligen Früchte wird der Sud in glasierte Steintöpfe gefüllt
und reift dort bis zum Brennvorgang zum vollkommenen Geschmackserlebnis heran. Da die alte Sorte auf den Streuobstwiesen im Süden bis heute nur noch selten unveredelt begegnet und die Ernte
mühevoll von Hand erfolgen muss, entstehen dabei erlesene Tropfen.
Rare Köstlichkeit – Trüffel
Wilde Trüffel gelten in Deutschland als extrem selten, manche Arten sogar als ausgestorben. Denn das Wissen um die Trüffelvorkommen ist über die letzten hundert Jahre in Vergessenheit geraten.
Doch in den Streuobstwiesen und Weinbergen im Süden gedeihen die kostbaren Pilze bis heute. Laut einer Studie der Universität Freiburg verteilen sich sieben Arten auf 121 Fundorte im Land. Der
höchste liegt in knapp 1000 Metern Höhe auf der Schwäbischen Alb. Während wilde Trüffel unter Artenschutz stehen und nicht zum Verkauf oder Verzehr gesammelt werden dürfen, ist die Zucht legal.
Davon profitieren etwa die hiesigen Winzer, die den Weinanbau immer häufiger mit dem Trüffelanbau verbinden. Im Schwarzwald verleihen heimische Trüffel dem Gin der Blackforest Boar Distillery
seine Einzigartigkeit.
Dunkler Powerlieferant – Musmehl
Aus dem gerösteten Korn von Dinkel oder Hafer entsteht in den Mühlen im Süden seit Jahrhunderten ein geschrotetes braunes Vollkornmehl. Das sogenannte Musmehl bildete zu herzhaftem »Schwarzen
Brei« oder »Gebranntem Mus« verarbeitet einst das Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung auf der Schwäbischen Alb. Aber auch im Odenwald und in Oberschwaben war das gehaltvolle Getreidemehl
bekannt und wurde als Basis für Gebäck oder süßes Habermus verwendet. Letzteres schätzten schon die Alemannen als Kraftquelle für die harte Arbeit auf dem Feld. Auch Hildegard von Bingen
empfiehlt den warmen Dinkel-Brei als erste Mahlzeit des Tages und setzt damit einen langanhaltenden Trend. Das »Power-Frühstück« ist auch heute wieder in aller Munde.
Fotos: (c) Kasper-Fotostudio/TMBW_Anne Webert