Weihnachtsbräuche (fast) ohne Kitsch und Kommerz
von Mareike Kratt
Weihnachtszeit ist Brauchtumszeit: In vielen Orten im Südwesten geht es in diesen Wochen richtig festlich und stimmungsvoll zu - aber nicht nur auf den Weihnachtsmärkten. WALDRAUSCH stellt besondere Traditionen rund um Nikolaus & Co vor, die vielleicht sogar einen Besuch wert sind.
Gengenbach: Größter Adventskalender der Welt
Was wäre die Weihnachtszeit ohne Adventskalender? Das Rathaus der Stadt Gengenbach im Schwarzwald verwandelt sich Jahr für Jahr in den »größten Adventskalender der Welt«. Die 24 Fenster des klassizistischen Baus aus dem 18. Jahrhundert werden erleuchtet und geben jeden Abend ein anderes Motiv frei. Werke bedeutender
Künstler, wie beispielsweise Tomi Ungerer, Otmar Alt oder Marc Chagall, haben dort schon unzählige neugierige Touristen angelockt. Dieses Jahr erstrahlen zum letzten Mal Werke des
amerikanischen Pop Art-Künstlers Andy Warhol aus den Fenstern.
Der Weihnachtsmarkt am Rathaus in der historischen Altstadt rundet die besondere Atmosphäre ab und ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Er ist bis zum 23. Dezember geöffnet, der
Adventkalender kann bis zum 6. Januar 2019 bestaunt werden.
Das Adventskalenderhaus in Gengenbach
Hirrlingen: Ein Feuer für den heiligen Nikolaus
Eine außergewöhnliche Version des Nikolaustags wird in Hirrlingen gefeiert. In der Gemeinde bei Tübingen weisen die Einwohner dem Heiligen den Weg durch ein Feuer. Am 5. Dezember wird auf
der »Gurgel«, einem Hang nahe des Dorfes, ein großes Feuer aufgeschichtet. Sobald das Feuer brennt, warten die Teilnehmer auf die Ankunft des Nikolaus. Neben dem
Feuer zaubern die »Harzfackeln« der Kinder eine ganz besondere Stimmung. Das sind selbstgemachte, mit Kerzen
beleuchtete Laternen, die die Kinder um sich schwingen. Im Anschluss kehrt der Nikolaus mit seinem Begleiter – Knecht Ruprecht – in einige Häuser ein.
Kinzigtal: Nikolaus und sein schauriges Gefolge
Eine Gruppe finsterer Gestalten ist rund um den 6. Dezember gemeinsam mit dem heiligen Nikolaus in einigen Orten des Kinzigtals anzutreffen. In den Straßen machen Gestalten
wie »Rubelez«, »Klausenbigger« oder »Biggeresel« lautstark auf sich aufmerksam, erschrecken dort Mitbürger und verschaffen sich Zutritt zu den Häusern der Bewohner. Die Kinder haben die Anzahl
ihrer Gebete und guten Taten in Kerbhölzer geschnitzt, an denen Nikolaus die Mühen der Kinder ablesen kann. Der Respekt der Kinder ist der eigenwilligen Gruppe gewiss: Symbolische Kinderbeine
am Tragekorb des Nikolaus unterstreichen ihre schaurige Wirkung. Aber dann ist alle Furcht vorbei, wenn Nikolaus seinen Sack öffnet und die Kinder mit Süßem belohnt.
Die »Klausenbigger« aus Steinach
Hohenlohe: Wo die »Rollebuawe« das Christkind ankündigen
In einigen Gemeinden Hohenlohes verkörpern junge Männer an Heiligabend den »Rollesel« oder »Rollebuawe«. Diese Figuren kündigen die Ankunft des Christkindes lautstark an. Je nach Region und Auslegung des Brauchs unterscheiden sich die Verkleidungen:
Sie reichen von großen, spitz zulaufenden Hüten mit Papierstreifen aus zerschnittenen Schulheften über mit Ruß geschwärzte Gesichter bis hin zu schwarzen Ledermasken. Aber immer tragen die
Figuren weiße, knielange Nachthemden sowie »Rollriemen«. Diese Lederriemen sind mit Glocken und Schellen versehen und werden von den Jugendlichen
über die Schulter geschnallt. Das Ritual ist ein Zeichen für den Abschied von der Kindheit.
Altensteig: Ein Lichtermeer aus Feuern und Fackeln
Ein beeindruckendes Schauspiel ist das jährliche Altensteiger Weihnachtsfackeln am Ostrand des Schwarzwaldes. Die Altensteiger »Fackler« schichten an Heiligabend oberhalb der Stadt am Hällesberg und am Schlossberg ab 6 Uhr morgens zwei runde Türme aus Holzscheiten auf. Sie sind
bis zu zwölf Meter hoch und an der Spitze von einer Tanne geschmückt. Mit dem Abendläuten nach dem Gottesdienst werden die Holzstöße zum Brennen gebracht. Wenn die Flammen zum Himmel lodern,
entfachen die »Fackler« daran ihre bis zu fünf Meter langen Fackeln und postieren sich auf den Bergwiesen. Nach und nach zünden auch die Zuschauer Hunderte von
Handfackeln an und schwenken die Fackeln zusammen mit den »Facklern« bis ein ganzes Lichtermeer über dem Nagoldtal wogt – da ist Gänsehautstimmung
vorprogrammiert.
Altensteiger Weihnachtsfackeln
Nordschwarzwald: Das »Pelzmärtle« zieht von Haus zu Haus
Sie gehören zusammen und sind doch grundverschieden: das Christkind und das »Pelzmärtle«. Letzteres erinnert auf den ersten Blick an einen Strohbären der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Das »Pelzmärtle« wird von einem jungen Mann verkörpert. Das Ankleiden mit Strohseilen und Schellenkränzen kann bis zu vier Stunden dauern. In der Region um Bad
Wildbad und Bad Herrenalb im nördlichen Schwarzwald zieht das ungleiche Duo an Heiligabend von Haus zu Haus. Das weiß gekleidete Christkind huscht verschleiert und in Begleitung von zwei
jungen Frauen durch die Straßen. Dagegen wird das »Pelzmärtle« von lautstarken jungen Männern geführt und mit knallenden Peitschen angekündigt.
Während das Christkind Geschenke verteilt, soll das »Pelzmärtle« unartige Kinder erschrecken. Beide sammeln Geld- und Sachspenden für einen guten
Zweck.
Das »Pelzmärtle« in Bad Herrenalb